Die zwei Seiten des Spiegels
Mai 2000 Kommen wir noch einmal auf die äußeren Wachstumsfaktoren (Licht, Temperatur, Wasser, CO2, O2, Nährelemente; vgl. FuG 1/2000) zurück. Jeder von ihnen kann (zu) knapp, bestmöglich oder (zu) reichlich vorhanden sein – genau wie es die Kurve (Abb. 1) zeigt – und so das Wachstum und den Ertrag der Pflanzen beeinflussen. Ihre Wirkung ist verflochten, komplex.
In Anlehnung an einen Buchtitel¹ des bekannten Verhaltensforschers Konrad Lorenz (1903 bis 1989) könnte man sich die beiden Hälften der Optimalkurve als Vorder- und Rückseite eines "Spiegels" vorstellen.
nach obenDie "Vorderseite" …

© Titze
Schließlich erkannte Mitscherlich nach Durchführung Tausender Steigerungsversuche mit den verschiedensten Wachstumselementen bei allen wesentlichen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen: "Der Ertragszuwachs ist abhängig von einem jeden Wachstumsfaktor mit einer ihm eigenen Intensität, und zwar ist er proportional (= im gleichen Verhältnis stehend) zu dem am Höchstertrag fehlenden Ertrag." Zu "deutsch" am Beispiel Nährstoffversorgung: Jeder Düngungssteigerungsversuch zeigt, dass mit den ersten Düngerquoten (-anteilen) die Ertragszuwächse schnell, mit weiteren langsamer und schließlich gar nicht mehr steigen. (Bekanntlich stimmt es nicht, dass wenn ich z. B. die Nährelementsmenge meines gut düngenden Gartennachbarn auf meinen Gemüsebeeten verdoppele, dann auch den zweifachen Ertrag erziele!).
Dieses von Mitscherlich aus dem Pflanzenbau abgeleitete "Gesetz vom abnehmenden Bodenertragszuwachs" hat später als Ertragsgesetz allgemeine Bedeutung erlangt und wird z. B. im Brockhaus (1979) so erläutert: "Nach dem Ertragsgesetz bringt ein Mehreinsatz eines Produktionsmittels bei Konstanz der übrigen Produktionsfaktormengen zuerst zunehmende Ertragszuwächse (Grenzerträge) und von einer bestimmten Einsatzmenge an abnehmende und schließlich sogar negative Grenzerträge."
Das gilt also auf dem Gemüsebeet genauso wie für den überproportionalen Benzinverbrauch beim Gasgeben bis zur Höchstgeschwindigkeitsgrenze des Autos (Bordcomputer-Besitzer können das genau verfolgen) oder die zu hohe Dosierung eines Waschpulvers beim Hemdenreinigen (sie werden einfach nicht "weißer als weiß"!) usw. usw.
nach obenDie "Rückseite" …

© Titze
Die überhöhte Düngung mit einem einzelnen Nährstoff führt zu keiner Steigerung des Ertrages mehr. Der Abfall der Ertragskurve ("Rückseite") beginnt bei Stickstoff später als bei Phosphorsäure oder Kalium, wird dafür aber wesentlich steiler (n. Knickmann/Tepe 1966)
Besehen wir uns die Abb. 2, dann muss der Erntemengenrückgang – vom Stickstoff abgesehen – bei einer überhöhten Kali- oder Phosphordüngung noch gar nicht einmal so "rapide" erfolgen.

© Titze
Nach Ertragsabnahme aufgrund zunehmender Wärme können die Pflanzen schließlich in eine Hitzestarre verfallen bzw. den Hitzetod erleiden (möglich evtl. im Kleingewächshaus, Frühbeet). Wer die Wirkung des Lichtfaktors erkennen will, braucht nur Löwenzahn-Pflanzen im Dauerschatten des Waldrandes mit solchen in praller Sonne zu vergleichen.
Allerdings wirken in dem Beispiel sicher auch noch Boden-, Luftfeuchtigkeit u. a. mit. Eine zu reichliche Lichtintensität ließe sich unter Glas bei Bedarf durch eine Schattierung "optimieren".
Zumindest von Bierhuizen stammt eine Optimumskurve für die Wirkung der Wachstumsgröße Wasser. Sie zeigt gleichfalls sinkenden Ertrag bei zu hohem Feuchtigkeitsangebot im Boden, oft allein wegen des dann herrschenden Sauerstoffmangels im Wurzelbereich.
Dass auch eine CO=Zufuhr auf der "Vorderseite" das Lagerungsergebnis z. B. einiger Gemüse in sog. CA-Lägern erheblich verbessert, ist Fachleuten bekannt. Ein Zuviel dieses Gases in der Lagerraumluft lässt aber das Aufbewahrungsgut (immer noch lebende Pflanzenteile!) ersticken und wertlos werden.
Nicht so sehr viel anders sieht es aus, wenn im Erwerbsgemüsebau Pflanzen unter Glas zur Assimilationssteigerung mit CO2 begast werden. Es ließen sich weitere Beispiele anführen. Doch genug davon!
nach obenFazit
Die kurze, vereinfachte Darstellung zeigt: Während auf der "Vorderseite" des "Spiegels" für den angemessen zunehmenden Einsatz der Wachstumselemente weitgehend grünes Licht gegeben ist, gilt für dessen "Rückseite" das rote Stopplicht der Ampel! Jede Erhöhung eines von uns beeinflussbaren Wachstumsfaktors über das Optimum hinaus bewirkt zunächst einen Luxuskonsum durch die Pflanzen, wird dann zunehmend ertragsschädlich, z. T. umweltbelastend und unverantwortlich ressourcenzehrend, unrentabel, absolut unvertretbar. Diese Erkenntnis sollte grundsätzlich die Leitlinie bei verschiedenen unserer Kulturmaßnahmen sein.Wir müssen aber bedauerlicherweise auch hinnehmen, dass es keine festen Optimumswerte gibt. Sie sind gemüseartspezifisch und verschieben sich im Entwicklungszyklus der Pflanzen sowie in Abhängigkeit von den anderen Wachstumsfaktoren. Während der Erwerbsgemüsebauer über zahlreiche Untersuchungsmöglichkeiten (Kosten!), Richt- und Vergleichswerte verfügt, um die Optima seiner Kulturen jeweils annähernd auszumachen und aufgrund seines Fachwissens und einer fachkundigen Beratung (Kosten!) bei den Kulturmaßnahmen eher die Konsequenzen zu ziehen in der Lage wäre, müssen beim Freizeitgemüsebauer meist Auge und Fingerspitzengefühl als Anhaltspunkte herhalten – und die können leider zuweilen trügen!
¹ "Die Rückseite des Spiegels"
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Nährelemente, Nährstoff, PflanzenernähungKlicken Sie auf ein Schlagwort, um alle Artikel mit diesem Schlagwort anzuzeigen.
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